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2024/03/29 - 17:01

Kurzer Prozess mit Kafka - Die Prager Nationalgalerie und eine Buchhandlung streiten über ihn

Von Hans-Jörg Schmidt

Seit nunmehr sieben Jahren, seit der staatlichen Trennung von den Slowaken, sucht Tschechien nach einem griffigen Namen. Tschechei verbietet sich - die deutschen Besatzer, die 1939 auf den Hradschin, die Prager Burg, marschierten, nannten das Land "Rest-Tschechei". Daran will niemand mehr erinnert werden. Also fragte man weltweit herum. Einer der durchaus ernst gemeinten Vorschläge lautete: Kafka-Land. Auch keine gute Idee. Kafka schätzt man wohl außerhalb der tschechischen Grenzen sehr. Wie groß die Probleme der Tschechen mit ihrem wohl berühmtesten Sohn sind, veranschaulichte indes Mitte der neunziger eine Anfrage: Sollte man nicht wenigstens eine Straße im Zentrum Prags nach dem tschechischen, deutschsprachigen Schriftsteller benennen? "Wer, bitte, war dieser Kafka?", fragte die Stadtverwaltung entgeistert wie unwissend zurück.
Seit ein paar Monaten weiß man aber auch dort, wer Kafka war. Die Erleuchtung kam mit einem ebenso kleinlichen wie unsinnigen Streit: Die Nationalgalerie, seit einiger Zeit Besitzer der Kinsky-Palais am zentralen Altstädter Ring, bemüht sich, eine dort siedelnde Kafka- Buchhandlung auszuquartieren. Der Ort ist Kafkajanern heilig: Der junge Franz besuchte dort das Gymnasium. Und zudem befand sich in dem Gebäude ein Geschäft von Vater Kafka. Mithin handle es sich um den einzigen Ort der Moldaustadt, der an Kafka erinnere, so die Kafka-Anhänger.
Die Nationalgalerie sieht das anders: Der Mietvertrag der Buchandlung enthalte einen Formfehler. Die Folge: Bis zum 30. November 1999 duldete man den Laden. Danach sollte Schluss mit Kafka sein. Die Galerie kündigte den Mietvertrag. Wahnsinn, meinten mehrere hundert tschechische Intellektuelle. In einer Petition forderten sie die Streithähne zu einem Kompromiss auf.
Das focht den Chef der Nationalgalerie, den Maler Milan Knizak, nur wenig an. "Selbst wenn die Mehrheit der Weltbevölkerung die Petition unterstützte, würde ich meine Pläne nicht ändern." Knizak möchte das Palais um einen zweiten Eingang erweitern, den es auch früher an der Stelle gegeben hat. Und Knizak fügte seinen verbalen Argumenten handfeste hinzu: Im Dezember ließ er durch einen Bautrupp die Fenstergitter der Buchhandlung zertrümmern. Der Grund: Die Buchandlung sei nicht fristgerecht geräumt worden. Und Knizak beließ es nicht dabei. Er sperrte auch Heizung, Wasser und Strom ab. Die Buchhändler behalfen sich seither mit kleinen Gasöfen und Kerzen.
Derlei Uneinsichtigkeit verlangte nach Knizaks Meinung nun ein härteres Vorgehen. Am Montag früh, als Prag noch schlief, schickte er einen Räumungstrupp zum Altstädter Ring. Möbelträger setzten die Buchhandlung samt Büchern auf die Straße. Und sie hefteten an die Tür ein amtliches Schreiben, das belegt, dass die Räumung wegen bevorstehender Bauarbeiten rechtens sei.
Keine Chance für Kafka und seine "Buchhalterin", Marta Zelezna. Die schäumt. Immerhin habe sie die ganze Miete für 2000 vorab entrichtet. Und die Dame ist einflussreich: Ihr Gatte steht dem quotenträchtigsten TV-Sender der Landes vor. Doch auch das lässt Knizak kalt. Er gehöre nicht zu den Leuten, die sich vor der medialen Macht der Familie Zelezny fürchten, ließ er verlauten. Beide Seiten warten nun auf den Richterspruch.
Das Andenken Kafkas geht dennoch in der "Goldenen Stadt" nicht unter. Einen Steinwurf vom Alltstädter Ring und dem Kinsky-Palais entfernt, bieten "fliegende Händler" T-Shirts aller Art an. Am besten gehen die mit dem Konterfei Franz Kafkas. Wenn schon nicht die Prager, so wissen doch die kaufwütigen Touristen, was sie an "ihrem" Kafka haben.

Erscheinungsdatum: 26. 01. 2000
© DIE WELT


Revision: 2021/01/09 - 23:40 - © Mauro Nervi




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