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2024/10/12 - 05:26
17. Amalias Geheimnis"Urteile selbst", sagte Olga, "übrigens klingt es sehr einfach, man versteht nicht gleich, wie es eine große Bedeutung haben kann. Es gibt einen Beamten im Schloß der heißt Sortini. " "Ich habe schon von ihm gehört", sagte K., "er war an meiner Berufung beteiligt. " "Das glaube ich nicht", sagte Olga, "Sortini tritt in der Öffentlichkeit kaum auf. Irrst Du Dich nicht mit Sordini, mit >d< geschrieben?" "Du hast recht", sagte K., "Sordini war es. " "Ja", sagte Olga, "Sordini ist sehr bekannt, einer der fleißigsten Beamten, von dem viel gesprochen wird, Sortini dagegen ist sehr zurückgezogen und den meisten fremd. Vor mehr als drei Jahren sah ich ihn zum ersten und letzten Mal. Es war am 3. Juli bei einem Fest des Feuerwehrvereins, das Schloß hatte sich auch beteiligt und eine neue Feuerspritze gespendet. Sortini, der sich zum Teil mit Feuerwehrangelegenheiten beschäftigen soll, vielleicht aber war er auch nur in Vertretung da – meistens vertreten sich die Beamten gegenseitig und es ist deshalb schwer die Zuständigkeit dieses oder jenes Beamten zu erkennen – nahm an der Übergabe der Spritze teil, es waren natürlich auch noch Andere aus dem Schloß gekommen, Beamte und Dienerschaft und Sortini war, wie es seinem Charakter entspricht, ganz im Hintergrunde. Es ist ein kleiner schwacher nachdenklicher Herr, etwas was allen die ihn überhaupt bemerkten auffiel, war die Art wie sich bei ihm die Stirn in Falten legte, alle Falten – und es war eine Menge, trotzdem er gewiß nicht mehr als vierzig ist – zogen sich nämlich geradewegs fächerartig über die Stirn zur Nasenwurzel hin, ich habe etwas derartiges nie gesehn. Nun das war also jenes Fest. Wir, Amalia und ich, hatten uns schon seit Wochen darauf gefreut, die Sonntagskleider waren zum Teil neu zurechtgemacht, besonders das Kleid Amalias war sehr schön, die weiße Bluse vorn hoch aufgebauscht, eine Spitzenreihe über der andern, die Mutter hatte alle ihre Spitzen dazu geborgt, ich war damals neidisch und weinte vor dem Fest die halbe Nacht durch. Erst als am Morgen die Brückenhofwirtin uns zu besichtigen kam – " "Die Brückenhofwirtin?" fragte K. "Ja", sagte Olga, "sie war sehr mit uns befreundet, sie kam also, mußte zugeben, daß Amalia im Vorteil war und borgte mir deshalb, um mich zu beruhigen, ihr eigenes Halsband aus böhmischen Granaten. Als wir dann aber ausgehfertig waren, Amalia vor mir stand, wir sie alle bewunderten und der Vater sagte: >Heute, denkt an mich, bekommt Amalia einen Bräutigam<, da, ich weiß nicht warum, nahm ich mir das Halsband, meinen Stolz, ab und hing es Amalia um, gar nicht neidisch mehr. Ich beugte mich eben vor ihrem Sieg und ich glaubte, jeder müsse sich vor ihr beugen; vielleicht überraschte uns damals, daß sie anders aussah als sonst, denn eigentlich schön war sie ja nicht, aber ihr düsterer Blick, den sie in dieser Art seitdem behalten hat, ging hoch über uns hinweg und man beugte sich fast tatsächlich und unwillkürlich vor ihr. Alle bemerkten es, auch Lasemann und seine Frau, die uns abholen kamen." "Lasemann?" fragte K. "Ja, Lasemann", sagte Olga, "wir waren doch sehr angesehn und das Fest hätte z. B. nicht gut ohne uns anfangen können, denn der Vater war dritter Übungsleiter der Feuerwehr." "So rüstig war der Vater noch?" fragte K. "Der Vater?" fragte Olga, als verstehe sie nicht ganz, "vor drei Jahren war er noch gewissermaßen ein junger Mann, er hat z. B. bei einem Brand im Herrenhof einen Beamten, den schweren Galater, im Laufschritt auf dem Rücken hinausgetragen. Ich bin selbst dabei gewesen, es war zwar keine Feuersgefahr, nur das trockene Holz neben einem Ofen fing zu rauchen an, aber Galater bekam Angst, rief aus dem Fenster um Hilfe, die Feuerwehr kam und mein Vater mußte ihn hinaustragen, trotzdem schon das Feuer gelöscht war. Nun, Galater ist ein schwer beweglicher Mann und muß in solchen Fällen vorsichtig sein. Ich erzähle es nur des Vaters wegen, viel mehr als drei Jahre sind seitdem nicht vergangen und nun sich wie er dort sitzt. " Erst jetzt sah K., daß Amalia schon wieder in der Stube war, aber sie war weit entfernt beim Tisch der Eltern, sie fütterte dort die Mutter, welche die rheumatischen Arme nicht bewegen konnte und sprach dabei dem Vater zu, er möge sich wegen des Essens noch ein wenig gedulden, gleich werde sie auch zu ihm kommen, um ihn zu füttern. Doch hatte sie mit ihrer Mahnung keinen Erfolg, denn der Vater, sehr gierig schon zu seiner Suppe zu kommen, überwand seine Körperschwäche und suchte die Suppe bald vom Löffel zu schlürfen, bald gleich vom Teller aufzutrinken und brummte böse, als ihm weder das eine noch das andere gelang, der Löffel längst leer war ehe er zum Munde kam und niemals der Mund, nur immer der herabhängende Schnauzbart in die Suppe tauchte und es nach allen Seiten, nur in seinen Mund nicht, tropfte und sprühte. "Das haben drei Jahre aus ihm gemacht?" fragte K., aber noch immer hatte er für die Alten und für die ganze Ecke des Familientisches dort kein Mitleid, nur Widerwillen. "Drei Jahre", sagte Olga langsam, "oder genauer paar Stunden eines Festes. Das Fest war auf einer Wiese vor dem Dorf am Bach, es war schon ein großes Gedränge als wir ankamen, auch aus den Nachbardörfern war viel Volk gekommen, man war ganz verwirrt von dem Lärm. Zuerst wurden wir natürlich vom Vater zur Feuerspritze geführt, er lachte vor Freude als er sie sah, eine neue Spritze machte ihn glücklich, er fing an, sie zu betasten und uns zu erklären, er duldete keinen Widerspruch und keine Zurückhaltung der andern, war etwas unter der Spritze zu besichtigen, mußten wir uns alle bücken und fast unter die Spritze kriechen, Barnabas, der sich damals wehrte, bekam deshalb Prügel. Nur Amalia kümmerte sich um die Spritze nicht, stand aufrecht dabei in ihrem schönen Kleid und niemand wagte ihr etwas zu sagen, ich lief manchmal zu ihr und faßte ihren Arm unter, aber sie schwieg. Ich kann es mir noch heute nicht erklären, wie es kam, daß wir solange vor der Spritze standen und erst, als sich der Vater von ihr losmachte, Sortini bemerkten, der offenbar schon die ganze Zeit über hinter der Spritze an einem Spritzenhebel gelehnt hatte. Es war freilich ein entsetzlicher Lärm damals, nicht nur wie es sonst bei Festen ist; das Schloß hatte nämlich der Feuerwehr auch noch einige Trompeten geschenkt, besondere Instrumente, auf denen man mit der kleinsten Kraftanstrengung, ein Kind konnte das, die wildesten Töne hervorbringen konnte; wenn man das hörte, glaubte man, die Türken seien schon da und man konnte sich nicht daran gewöhnen, bei jedem neuen Blasen fuhr man wieder zusammen. Und weil es neue Trompeten waren, wollte sie jeder versuchen und weil es doch ein Volksfest war erlaubte man es. Gerade um uns, vielleicht hatte sie Amalia angelockt, waren einige solche Bläser, es war schwer die Sinne dabei zusammenzuhalten und wenn man nun auch noch nach dem Gebot des Vaters Aufmerksamkeit für die Spritze haben sollte, so war das das Äußerste was man leisten konnte und so entgieng uns Sortini, den wir ja vorher auch gar nicht gekannt hatten, so ungewöhnlich lange. >Dort ist Sortini<, flüsterte endlich, ich stand dabei, Lasemann dem Vater zu. Der Vater verbeugte sich tief und gab auch uns aufgeregt ein Zeichen uns zu verbeugen. Ohne ihn bisher zu kennen, hatte der Vater seit jeher Sortini als einen Fachmann in Feuerwehrangelegenheiten verehrt und öfters zuhause von ihm gesprochen, es war uns daher auch sehr überraschend und bedeutungsvoll jetzt Sortini in Wirklichkeit zu sehn. Sortini aber kümmerte sich um uns nicht, es war das keine Eigenheit Sortinis, die meisten Beamten scheinen in der Öffentlichkeit teilnahmslos, auch war er müde, nur seine Amtspflicht hielt ihn hier unten, es sind nicht die schlechtesten Beamten welche gerade solche Repräsentationspflichten als besonders drückend empfinden, andere Beamte und Diener mischten sich, da sie nun schon einmal da waren, unter das Volk, er aber blieb bei der Spritze und jeden der sich ihm mit irgendeiner Bitte oder Schmeichelei zu nähern suchte, vertrieb er durch sein Schweigen. So kam es, daß er uns noch später bemerkte, als wir ihn. Erst als wir uns ehrfurchtsvoll verbeugten und der Vater uns zu entschuldigen suchte, blickte er nach uns hin, blickte der Reihe nach von einem zum andern, müde, es war als seufze er darüber, daß neben dem einen immer wieder noch ein zweiter sei, bis er dann bei Amalia haltmachte, zu der er aufschauen mußte, denn sie war viel größer als er. Da stutzte er, sprang über die Deichsel, um Amalia näher zu sein, wir mißverstanden es zuerst und wollten uns alle unter Anführung des Vaters ihm nähern, aber er hielt uns ab mit erhobener Hand und winkte uns dann zu gehn. Das war alles. Wir neckten dann Amalia viel damit, daß sie nun wirklich einen Bräutigam gefunden habe, in unserem Unverstand waren wir den ganzen Nachmittag über sehr fröhlich, Amalia aber war schweigsamer als jemals, >sie hat sich ja toll und voll in Sortini verliebt<, sagte Brunswick, der immer etwas grob ist und für Naturen wie Amalia kein Verständnis hat, aber diesmal schien uns seine Bemerkung fast richtig, wir waren überhaupt närrisch an dem Tag und alle, bis auf Amalia, von dem süßen Schloßwein wie betäubt, als wir nach Mitternacht nachhause kamen." "Und Sortini?" fragte K. "Ja, Sortini", sagte Olga, "Sortini sah ich während des Festes im Vorübergehn noch öfters, er saß auf der Deichsel, hatte die Arme über der Brust gekreuzt und blieb so, bis der Schloßwagen kam, um ihn abzuholen. Nicht einmal zu den Feuerwehrübungen ging er, bei denen der Vater damals, gerade in der Hoffnung daß Sortini zusehe, vor allen Männern seines Alters sich auszeichnete. " "Und habt Ihr nicht mehr von ihm gehört?" fragte K. "Du scheinst ja für Sortini große Verehrung zu haben. " "Ja, Verehrung", sagte Olga, "ja und gehört haben wir auch noch von ihm. Am nächsten Morgen wurden wir aus unserem Weinschlaf durch einen Schrei Amalias geweckt, die andern fielen gleich wieder in die Betten zurück, ich war aber gänzlich wach und lief zu Amalia, sie stand beim Fenster und hielt einen Brief in der Hand, den ihr eben ein Mann durch das Fenster gereicht hatte, der Mann wartete noch auf Antwort. Amalia hatte den Brief – er war kurz – schon gelesen und hielt ihn in der schlaff hinabhängenden Hand; wie liebte ich sie immer wenn sie so müde war. Ich kniete neben ihr nieder und las den Brief. Kaum war ich fertig, nahm ihn Amalia, nach einem kurzen Blick auf mich, wieder auf, brachte es aber nicht mehr über sich, ihn zu lesen, zerriß ihn, warf die Fetzen dem Mann draußen ins Gesicht und schloß das Fenster. Das war jener entscheidende Morgen. Ich nenne ihn entscheidend, aber jeder Augenblick des vorhergehenden Nachmittags ist ebenso entscheidend gewesen. " "Und was stand in dem Brief? " fragte K. "Ja, das habe ich noch nicht erzählt", sagte Olga, "der Brief war von Sortini, adressiert war er an das Mädchen mit dem Granatenhalsband. Den Inhalt kann ich nicht wiedergeben. Es war eine Aufforderung zu ihm in den Herrenhof zu kommen undzwar sollte Amalia sofort kommen, denn in einer halben Stunde mußte Sortini wegfahren. Der Brief war in den gemeinsten Ausdrücken gehalten, die ich noch nie gehört hatte und nur aus dem Zusammenhang halb erriet. Wer Amalia nicht kannte und nur diesen Brief gelesen hatte, mußte das Mädchen, an das jemand so zu schreiben gewagt hatte, für entehrt halten, auch wenn sie gar nicht berührt worden sein sollte. Und es war kein Liebesbrief, kein Schmeichelwort war darin, Sortini war vielmehr offenbar böse, daß der Anblick Amalias ihn ergriffen, ihn von seinen Geschäften abgehalten hatte. Wir legten es uns später so zurecht, daß Sortini wahrscheinlich gleich abend hatte ins Schloß fahren wollen, nur Amalias wegen im Dorf geblieben war, und am Morgen voll Zorn darüber, daß es ihm auch in der Nacht nicht gelungen war Amalia zu vergessen, den Brief geschrieben hatte. Man mußte dem Brief gegenüber zuerst empört sein, auch die Kaltblütigste, dann aber hätte bei einer andern als Amalia wahrscheinlich vor dem bösen drohenden Ton die Angst überwogen, bei Amalia blieb es bei der Empörung, Angst kennt sie nicht, nicht für sich, nicht für andere. Und während ich mich dann wieder ins Bett verkroch und mir den abgebrochenen Schlußsatz wiederholte: >Daß Du also gleich kommst, oder – ! < blieb Amalia auf der Fensterbank und sah hinaus, als erwarte sie noch weitere Boten und sei bereit, jeden genau so zu behandeln wie den ersten. " "Das sind also die Beamten", sagte K. zögernd, "solche Exemplare findet man unter ihnen. Was hat Dein Vater gemacht? Ich hoffe er hat sich kräftig an zuständiger Stelle über Sortini beschwert, wenn er nicht den kürzeren und sichereren Weg in den Herrenhof vorgezogen hat. Das Allerhäßlichste an der Geschichte ist ja nicht die Beleidigung Amalias, die konnte leicht gutgemacht werden, ich weiß nicht warum Du so übermäßig großes Gewicht gerade darauflegst; warum sollte Sortini mit einem solchen Brief Amalia für immer bloßgestellt haben, nach Deiner Erzählung könnte man das glauben, gerade das ist aber doch nicht möglich, eine Genugtuung war Amalia leicht zu verschaffen und in paar Tagen war der Vorfall vergessen, Sortini hat nicht Amalia bloßgestellt, sondern sich selbst. Vor Sortini also schrecke ich zurück, vor der Möglichkeit, daß es einen solchen Mißbrauch der Macht gibt. Was in diesem Fall mißlang, weil es klipp und klar gesagt und völlig durchsichtig war und an Amalia einen überlegenen Gegner fand, kann in tausend andern Fällen bei nur ein wenig ungünstigeren Umständen völlig gelingen und kann sich jedem Blick entziehn, auch dem Blick des Mißbrauchten." "Still", sagte Olga, "Amalia sieht herüber. " Amalia hatte die Fütterung der Eltern beendet und war jetzt daran die Mutter auszuziehn, sie hatte ihr gerade den Rock losgebunden, hing sich die Arme der Mutter um den Hals, hob sie so ein wenig, streifte ihr den Rock ab und setzte sie dann sanft wieder nieder. Der Vater, immer unzufrieden damit, daß die Mutter zuerst bedient wurde, was aber offenbar nur deshalb geschah, weil die Mutter noch hilfloser war als er, versuchte, vielleicht auch um die Tochter für ihre vermeintliche Langsamkeit zu strafen, sich selbst zu entkleiden, aber trotzdem er bei dem Unnötigsten und Leichtesten anfieng, den übergroßen Pantoffeln, in welchen seine Füße nur lose staken, wollte es ihm auf keine Weise gelingen, sie abzustreifen, er mußte es unter heiserem Röcheln bald aufgeben und lehnte wieder steif in seinem Stuhl. "Das Entscheidende erkennst Du nicht", sagte Olga, "Du magst ja Recht haben mit allem, aber das Entscheidende war, daß Amalia nicht in den Herrenhof ging; wie sie den Boten behandelt hatte, das mochte an sich noch hingehn, das hätte sich vertuschen lassen; damit aber daß sie nicht hinging, war der Fluch über unsere Familie ausgesprochen und nun war allerdings auch die Behandlung des Boten etwas Unverzeihliches, ja es wurde sogar für die Öffentlichkeit in den Vordergrund geschoben." "Wie!" rief K. und dämpfte sofort die Stimme, da Olga bittend die Hände hob, "Du, die Schwester, sagst doch nicht etwa, daß Amalia Sortini hätte folgen und in den Herrenhof hätte laufen sollen?" "Nein", sagte Olga, "möge ich beschützt werden vor derartigem Verdacht, wie kannst Du das glauben. Ich kenne niemanden, der so fest im Recht wäre, wie Amalia bei allem, was sie tut. Wäre sie in den Herrenhof gegangen, hätte ich ihr freilich ebenso Recht gegeben; daß sie aber nicht gegangen ist, war heldenhaft. Was mich betrifft, ich gestehe es Dir offen, wenn ich einen solchen Brief bekommen hätte, ich wäre gegangen. Ich hätte die Furcht vor dem Kommenden nicht ertragen, das konnte nur Amalia. Es gab ja manche Auswege, eine andere hätte sich z. B. recht schön geschmückt und es wäre ein Weilchen darüber vergangen und dann wäre sie in den Herrenhof gekommen und hätte erfahren, daß Sortini schon fort ist, vielleicht daß er gleich nach Entsendung des Boten weggefahren ist, etwas was sogar sehr wahrscheinlich ist, denn die Launen der Herren sind flüchtig. Aber Amalia tat das nicht und nichts ähnliches, sie war zu tief beleidigt und antwortete ohne Vorbehalt. Hätte sie nur irgendwie zum Schein gefolgt, nur die Schwelle des Herrenhofes zur Zeit gerade überschritten, das Verhängnis hätte sich abwenden lassen, wir haben hier sehr kluge Advokaten, die aus einem Nichts alles was man nur will zu machen verstehn, aber in diesem Fall war nicht einmal das günstige Nichts vorhanden, im Gegenteil, es war noch die Entwürdigung des Sortinischen Briefes da und die Beleidigung des Boten." "Aber was für ein Verhängnis denn", sagte K., "was für Advokaten; man konnte doch wegen der verbrecherischen Handlungsweise Sortinis nicht Amalia anklagen oder gar bestrafen? " "Doch", sagte Olga, "das konnte man, freilich nicht nach einem regelrechten Proceß und man bestrafte sie auch nicht unmittelbar, wohl aber bestrafte man sie auf eine andere Weise, sie und unsere ganze Familie und wie schwer diese Strafe ist, das fängst Du nun wohl an zu erkennen. Dir scheint das ungerecht und ungeheuerlich, das ist eine im Dorf völlig vereinzelte Meinung, sie ist uns sehr günstig und sollte uns trösten, und so wäre es auch, wenn sie nicht sichtlich auf Irrtümer zurückgienge. Ich kann Dir das leicht beweisen, verzeih, wenn ich dabei von Frieda spreche, aber zwischen Frieda und Klamm ist, abgesehen davon wie es sich schließlich gestaltet hat, etwas ganz ähnliches vorgegangen wie zwischen Amalia und Sortini und doch findest Du das, wenn Du auch anfangs erschrocken sein magst, jetzt schon richtig. Und das ist nicht Gewöhnung, so abstumpfen kann man durch Gewöhnung nicht, wenn es sich um einfache Beurteilung handelt; das ist bloß Ablegen von Irrtümern. " "Nein, Olga", sagte K., "ich weiß nicht, warum Du Frieda in diese Sache hereinziehst, der Fall war doch gänzlich anders, misch nicht so Grundverschiedenes durcheinander und erzähle weiter. " "Bitte", sagte Olga, "nimm es mir nicht übel, wenn ich auf dem Vergleich bestehe, es ist ein Rest von Irrtümern auch hinsichtlich Friedas noch, wenn Du sie gegen einen Vergleich verteidigen zu müssen glaubst. Sie ist gar nicht zu verteidigen, sondern nur zu loben. Wenn ich die Fälle vergleiche, so sage ich ja nicht, daß sie gleich sind, sie verhalten sich zueinander wie weiß und schwarz und weiß ist Frieda. Schlimmstenfalls kann man über Frieda lachen, wie ich es unartiger Weise – ich habe es später sehr bereut – im Ausschank getan habe, aber selbst wer hier lacht, ist schon boshaft oder neidisch, immerhin man kann lachen, Amalia aber kann man, wenn man nicht durch Blut mit ihr verbunden ist, nur verachten. Deshalb sind es zwar grundverschiedene Fälle, wie Du sagst, aber doch auch ähnlich. " "Sie sind auch nicht ähnlich", sagte K. und schüttelte unwillig den Kopf, "laß Frieda beiseite. Frieda hat keinen solchen saubern Brief, wie Amalia von Sortini bekommen, und Frieda hat Klamm wirklich geliebt, und wer’s bezweifelt, kann sie fragen, sie liebt ihn noch heute. " "Sind das aber große Unterschiede" fragte Olga. "Glaubst Du Klamm hätte nicht ebenso Frieda schreiben können? Wenn die Herren vom Schreibtisch aufstehn, sind sie so; sie finden sich in der Welt nicht zurecht; sie sagen dann in der Zerstreutheit das Allergröbste, nicht alle, aber viele. Der Brief an Amalia kann ja in Gedanken, in völliger Nichtachtung des wirklich Geschriebenen auf das Papier geworfen worden sein. Was wissen wir von den Gedanken der Herren! Hast Du nicht selbst gehört oder es erzählen hören, in welchem Ton Klamm mit Frieda verkehrt hat? Von Klamm ist es bekannt, daß er sehr grob ist, er spricht angeblich stundenlang nichts und dann sagt er plötzlich eine derartige Grobheit, daß es einen schaudert. Von Sortini ist das nicht bekannt, wie er ja überhaupt sehr unbekannt ist. Eigentlich weiß man von ihm nur, daß sein Name dem Sordinis ähnlich ist, wäre nicht diese Namensähnlichkeit, würde man ihn wahrscheinlich gar nicht kennen. Auch als Feuerwehrfachmann verwechselt man ihn wahrscheinlich mit Sordini, welcher der eigentliche Fachmann ist und die Namensähnlichkeit ausnützt, um besonders die Repräsentationspflichten auf Sortini abzuwälzen und so in seiner Arbeit ungestört zu bleiben. Wenn nun ein solcher weltungewandter Mann wie Sortini plötzlich von Liebe zu einem Dorfmädchen ergriffen wird, so nimmt das natürlich andere Formen an, als wenn der Tischlergehilfe von nebenan sich verliebt. Auch muß man doch bedenken, daß zwischen einem Beamten und einer Schusterstochter doch ein großer Abstand besteht, der irgendwie überbrückt werden muß, Sortini versuchte es auf diese Art, ein anderer mags anders machen. Zwar heißt es, daß wir alle zum Schloß gehören und gar kein Abstand besteht und nichts zu überbrücken ist und das stimmt auch vielleicht für gewöhnlich, aber wir haben leider Gelegenheit gehabt, zu sehn, daß es gerade wenn es darauf ankommt, gar nicht stimmt. Jedenfalls wird Dir nach dem allen die Handlungsweise Sortinis verständlicher, weniger ungeheuerlich geworden sein und sie ist tatsächlich mit jener Klamms verglichen viel verständlicher und selbst wenn man ganz nah beteiligt ist, viel erträglicher. Wenn Klamm einen zarten Brief schreibt, ist es peinlicher als der gröbste Brief Sortinis. Verstehe mich dabei recht, ich wage nicht über Klamm zu urteilen, ich vergleiche nur, weil Du Dich gegen den Vergleich wehrst. Klamm ist doch wie ein Kommandant über den Frauen, befiehlt bald dieser bald jener zu ihm zu kommen, duldet keine lange und so wie er zu kommen befiehlt, befiehlt er auch zu gehn. Ach, Klamm würde sich gar nicht die Mühe geben erst einen Brief zu schreiben. Und ist es nun im Vergleich damit noch immer ungeheuerlich, wenn der ganz zurückgezogen lebende Sortini, dessen Beziehungen zu Frauen zumindest unbekannt sind, einmal sich niedersetzt und in seiner schönen Beamtenschrift einen allerdings abscheulichen Brief schreibt. Und wenn sich also hier kein Unterschied zu Klamms Gunsten ergibt, sondern das Gegenteil, so sollte ihn Friedas Liebe bewirken? Das Verhältnis der Frauen zu den Beamten ist, glaube mir, sehr schwer oder vielmehr immer sehr leicht zu beurteilen. Hier fehlt es an Liebe nie. Unglückliche Beamtenliebe gibt es nicht. Es ist in dieser Hinsicht kein Lob, wenn man von einem Mädchen sagt, – ich rede hier beiweitem nicht nur von Frieda – daß sie sich dem Beamten nur deshalb hingegeben hat, weil sie ihn liebte. Sie liebte ihn und hat sich ihm hingegeben, so war es, aber zu loben ist dabei nichts. Amalia aber hat Sortini nicht geliebt, wendest Du ein. Nun ja, sie hat ihn nicht geliebt, aber vielleicht hat sie ihn doch geliebt, wer kann das entscheiden? Nicht einmal sie selbst. Wie kann sie glauben ihn geliebt zu haben, wenn sie ihn so kräftig abgewiesen hat, wie wahrscheinlich noch niemals ein Beamter abgewiesen worden ist. Barnabas sagt, daß sie noch jetzt manchmal zittert von der Bewegung mit der sie vor drei Jahren das Fenster zugeschlagen hat. Das ist auch wahr und deshalb darf man sie nicht fragen; sie hat mit Sortini abgeschlossen und weiß nichts mehr als das; ob sie ihn liebt oder nicht, weiß sie nicht. Wir aber wissen, daß Frauen nicht anders können, als Beamte zu lieben wenn sich diese ihnen einmal zuwenden, ja sie lieben die Beamten schon vorher, so sehr sie es leugnen wollen, und Sortini hat sich Amalia ja nicht nur zugewendet, sondern ist über die Deichsel gesprungen, als er Amalia sah, mit den von der Schreibtischarbeit steifen Beinen ist er über die Deichsel gesprungen. Aber Amalia ist ja eine Ausnahme, wirst Du sagen. Ja, das ist sie, das hat sie bewiesen, als sie sich weigerte zu Sortini zu gehn, das ist der Ausnahme genug; daß sie nun aber außerdem Sortini auch nicht geliebt haben sollte, das wäre nun schon der Ausnahme fast zu viel, das wäre gar nicht mehr zu fassen. Wir waren ja gewiß an jenem Nachmittag mit Blindheit geschlagen, aber daß wir damals durch allen Nebel etwas von Amalias Verliebtheit zu bemerken glaubten, zeigte wohl doch noch etwas Besinnung. Wenn man aber das alles zusammenhält, was bleibt dann für ein Unterschied zwischen Frieda und Amalia Einzig der, daß Frieda tat, was Amalia verweigert hat. " "Mag sein", sagte K., "für mich aber ist der Hauptunterschied der, daß Frieda meine Braut ist, Amalia aber mich im Grunde nur so weit bekümmert, als sie die Schwester des Barnabas, des Schloßboten ist und ihr Schicksal in den Dienst des Barnabas vielleicht mitverflochten ist. Hätte ihr ein Beamter ein derart schreiendes Unrecht getan, wie es nach Deiner Erzählung anfangs mir schien, hätte mich das sehr beschäftigt, aber auch dies viel mehr als öffentliche Angelegenheit, denn als persönliches Leid Amalias. Nun ändert sich aber nach Deiner Erzählung das Bild in einer mir zwar nicht ganz verständlichen, aber, da Du es bist, die erzählt, in einer genügend glaubwürdigen Weise und ich will diese Sache deshalb sehr gern völlig vernachlässigen, ich bin kein Feuerwehrmann, was kümmert mich Sortini. Wohl aber kümmert mich Frieda und da ist es mir sonderbar, wie Du, der ich völlig vertraute und gerne immer vertrauen will, auf dem Umweg über Amalia immerfort Frieda anzugreifen und mir verdächtig zu machen suchst. Ich nehme nicht an, daß Du das mit Absicht oder gar mit böser Absicht tust, sonst hätte ich doch schon längst fortgehn müssen, Du tust es nicht mit Absicht, die Umstände verleiten Dich dazu, aus Liebe zu Amalia willst Du sie hocherhaben über alle Frauen hinstellen und da Du in Amalia selbst zu diesem Zwecke nicht genug Rühmenswertes findest, hilfst Du Dir damit, daß Du andere Frauen verkleinerst. Amalias Tat ist merkwürdig, aber je mehr Du von dieser Tat erzählst, desto weniger läßt sich entscheiden ob sie groß oder klein, klug oder töricht, heldenhaft oder feig gewesen ist, ihre Beweggründe hält Amalia in ihrer Brust verschlossen, niemand wird sie ihr entreißen. Frieda dagegen hat gar nichts merkwürdiges getan sondern ist nur ihrem Herzen gefolgt, für jeden der sich gutwillig damit befaßt, ist das klar, jeder kann es nachprüfen, für Klatsch ist kein Raum. Ich aber will weder Amalia heruntersetzen, noch Frieda verteidigen, sondern Dir nur klarmachen, wie ich mich zu Frieda verhalte und wie jeder Angriff gegen Frieda gleichzeitig ein Angriff gegen meine Existenz ist. Ich bin aus eigenem Willen hierhergekommen und aus eigenem Willen habe ich mich hier festgehakt, aber alles was seither geschehen ist und vor allem meine Zukunftsaussichten – so trübe sie auch sein mögen, immerhin, sie bestehn – alles dies verdanke ich Frieda, das läßt sich nicht wegdiskutieren. Ich war hier zwar als Landvermesser aufgenommen, aber das war nur scheinbar, man spielte mit mir, man trieb mich aus jedem Haus, man spielt auch heute mit mir, aber wieviel umständlicher ist das, ich habe gewissermaßen an Umfang gewonnen und das bedeutet schon etwas, ich habe, so geringfügig das alles ist, doch schon ein Heim, eine Stellung und wirkliche Arbeit, ich habe eine Braut, die, wenn ich andere Geschäfte habe, mir die Berufsarbeit abnimmt, ich werde sie heiraten und Gemeindemitglied werden, ich habe außer der amtlichen auch noch eine, bisher freilich unausnützbare persönliche Beziehung zu Klamm. Das ist doch wohl nicht wenig? Und wenn ich zu Euch komme, wen begrüßt Ihr? Wem vertraust Du die Geschichte Euerer Familie an? Von wem erhoffst Du die Möglichkeit, sei es auch nur die winzige, unwahrscheinliche Möglichkeit irgendeiner Hilfe? Doch wohl nicht von mir, dem Landvermesser, den z. B. noch vor einer Woche Lasemann und Brunswick mit Gewalt aus ihrem Haus gedrängt haben, sondern Du erhoffst das von dem Mann, der schon irgendwelche Machtmittel hat, diese Machtmittel aber verdanke ich eben Frieda, Frieda, die so bescheiden ist, daß, wenn Du sie nach etwas derartigem zu fragen versuchen wirst, sie gewiß nicht das Geringste davon wird wissen wollen. Und doch scheint es nach dem allen daß Frieda in ihrer Unschuld mehr getan hat als Amalia in allem ihrem Hochmut, denn sieh, ich habe den Eindruck, daß Du Hilfe für Amalia suchst. Und von wem? Doch eigentlich von keinem andern als von Frieda." "Habe ich wirklich so häßlich von Frieda gesprochen?" sagte Olga, "ich wollte es gewiß nicht und glaubte es auch nicht getan zu haben, aber möglich ist es, unsere Lage ist derart, daß wir mit aller Welt zerfallen sind und fangen wir zu klagen an, reißt es uns fort, wir wissen nicht, wohin. Du hast auch recht, es ist ein großer Unterschied jetzt zwischen uns und Frieda und es ist gut ihn einmal zu betonen. Vor drei Jahren waren wir Bürgermädchen und Frieda, die Waise, Magd im Brückenhof, wir gingen an ihr vorüber, ohne sie mit dem Blick zu streifen, wir waren gewiß zu hochmütig, aber wir waren so erzogen worden. An dem Abend im Herrenhof magst Du aber den jetzigen Stand erkannt haben: Frieda mit der Peitsche in der Hand und ich in dem Haufen der Knechte. Aber es ist ja noch schlimmer. Frieda mag uns verachten, es entspricht ihrer Stellung, die tatsächlichen Verhältnisse erzwingen es. Aber wer verachtet uns nicht alles! Wer sich entschließt uns zu verachten, kommt gleich in die allergrößte Gesellschaft. Kennst Du die Nachfolgerin Friedas? Pepi heißt sie. Ich habe sie erst vorgestern abend kennen gelernt, bisher war sie Zimmermädchen. Sie übertrifft gewiß Frieda an Verachtung für mich. Sie sah mich aus dem Fenster, wie ich Bier holen kam, lief zur Tür und versperrte sie, ich mußte lange bitten und ihr das Band versprechen, das ich im Haare trug, ehe sie mir aufmachte. Als ich es ihr aber dann gab, warf sie es in den Winkel. Nun, sie mag mich verachten, zum Teil bin ich ja auf ihr Wohlwollen angewiesen und sie ist Ausschankmädchen im Herrenhof, freilich sie ist es nur vorläufig und hat gewiß nicht die Eigenschaften die nötig sind, um dort dauernd angestellt zu werden. Man mag nur zuhören, wie der Wirt mit Pepi spricht und mag es damit vergleichen, wie er mit Frieda sprach. Aber das hindert Pepi nicht auch Amalia zu verachten, Amalia, deren Blick allein genügen würde, die ganze kleine Pepi mit allen ihren Zöpfen und Maschen so schnell aus dem Zimmer zu schaffen, wie sie es, nur auf ihre eigenen dicken Beinchen angewiesen, niemals zustande brächte. Was für ein empörendes Geschwätz mußte ich gestern wieder von ihr über Amalia anhören, bis sich dann schließlich die Gäste meiner annahmen, in der Art freilich, wie Du es schon einmal gesehen hast. " "Wie verängstigt Du bist", sagte K., "ich habe ja nur Frieda auf den ihr gebürenden Platz gestellt, aber nicht Euch herabsetzen wollen, wie Du es jetzt auffaßt. Irgendetwas besonderes hat Euere Familie auch für mich, das habe ich nicht verschwiegen; wie dieses Besondere aber Anlaß zur Verachtung geben könnte, das verstehe ich nicht. " "Ach K. ", sagte Olga, "auch Du wirst es noch verstehn, fürchte ich; daß Amalias Verhalten gegenüber Sortini der erste Anlaß dieser Verachtung war, kannst Du auf keine Weise verstehn?" "Das wäre doch zu sonderbar", sagte K., "bewundern oder verurteilen könnte man Amalia deshalb, aber verachten? Und wenn man aus mir unverständlichem Gefühl wirklich Amalia verachtet, warum dehnt man die Verachtung auf Euch aus, auf die unschuldige Familie? Daß z. B. Pepi Dich verachtet, ist ein starkes Stück und ich will, wenn ich wieder einmal in den Herrenhofkomme, es ihr heimzahlen. " "Wolltest Du, K. ", sagte Olga, "alle unsere Verächter umstimmen, das wäre eine harte Arbeit, denn alles geht vom Schloß aus. Ich erinnere mich noch genau an den Vormittag, der jenem Morgen folgte. Brunswick, der damals unser Gehilfe war, war gekommen wie jeden Tag, der Vater hatte ihm Arbeit zugeteilt und ihn nachhause geschickt, wir saßen dann beim Frühstück, alle bis auf Amalia und mich waren sehr lebhaft, der Vater erzählte immerfort von dem Fest, er hatte hinsichtlich der Feuerwehr verschiedene Pläne, im Schloß ist nämlich eine eigene Feuerwehr, die zu dem Fest auch eine Abordnung geschickt hatte, mit der manches besprochen worden war, die anwesenden Herren aus dem Schloß hatten die Leistungen unserer Feuerwehr gesehn, sich sehr günstig über sie ausgesprochen, die Leistungen der Schloßfeuerwehr damit verglichen, das Ergebnis war uns günstig, man hatte von der Notwendigkeit einer Neuorganisation der Schloßfeuerwehr gesprochen, dazu waren Instruktoren aus dem Dorf nötig, es kamen zwar einige dafür in Betracht, aber der Vater hatte doch Hoffnung daß die Wahl auf ihn fallen werde. Davon sprach er nun und wie es so seine liebe Art war, sich bei Tisch recht auszubreiten, saß er da, mit den Armen den halben Tisch umfassend, und wie er aus dem offenen Fenster zum Himmel aufsah, war sein Gesicht so jung und hoffnungsfreudig, niemals mehr sollte ich ihn so sehn. Da sagte Amalia mit einer Überlegenheit, die wir an ihr nicht kannten, solchen Reden der Herren müsse man nicht sehr vertrauen, die Herren pflegen bei derartigen Gelegenheiten gern etwas Gefälliges zu sagen, aber Bedeutung habe das wenig oder gar nicht, kaum gesprochen sei es schon für immer vergessen, freilich, bei der nächsten Gelegenheit gehe man ihnen wieder auf den Leim. Die Mutter verwies ihr solche Reden, der Vater lachte nur über ihre Altklugheit und Vielerfahrenheit, dann aber stutzte er, schien etwas zu suchen, dessen Fehlen er erst jetzt merkte, aber es fehlte doch nichts und sagte, Brunswick habe etwas von einem Boten und einem zerrissenen Brief erzählt, und er fragte, ob wir etwas davon wußten, wen es betreffe und wie es sich damit verhalte. Wir schwiegen, Barnabas, damals jung wie ein Lämmchen, sagte irgendetwas besonders Dummes oder Keckes, man sprach von anderem und die Sache kam in Vergessenheit." Revision: 2021/01/09 - 23:40 - © Mauro Nervi
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